6 Erkenntnisse aus den Erfahrungen des letzten Jahres
Ich sitze im neuen Kinderzimmer meines ungeborenen Babys. Im
Sessel, mit Laptop auf den Knien um 8:00 Uhr morgens. Die Voraussetzungen für
einen gelungenen Tag sind ebenso mäßig oder verheißungsvoll, wie sie es jeden
Morgen sind. Aber in mir drin, da sind einige wunderbare Erkenntnisse
herangereift, die mir Kraft geben und Zuversicht.
Meine aktuelle Krise hat mir so vieles gezeigt und nicht
zuletzt, dass sich mein Leben sehr wohl im letzten Jahr zum Guten verändert
hat.
Erkenntnis Nr. 1: Die Veränderung ist schon eingetreten.
Immer und immer wieder bin ich an dem
Glaubenssatz verzweifelt, dass ich nichts ändern kann. Dass sich das Rad des
Schicksals so dreht, wie es das nunmal tut und dass es mich gefangen hält in
einem Leben, in dem ich immer mit bestimmten Schwierigkeiten zu kämpfen habe.
Rückblickend ist das gar nicht so. Es gibt neue Muster, neue Mechanismen, neue
Werkzeuge, die ich angewendet habe und die langsam aber sicher ihre Wirkung
entfalten.
Erkenntnis Nr. 2: Warte nicht auf die Erlösung.
Der ganze Komplex Essen und Gesundheit
erfährt eine Wendung, weil ich verstanden habe, dass ich nicht länger auf das
Eintreten dieser Gesundheit warten muss. Und dass das auch gar keinen Sinn
macht. Ich nehme die Symptome an, wie sie kommen, interpretiere sie nicht,
verurteile mich nicht dafür. Bei Bauchschmerzen zu meditieren, hilft enorm. Und
nicht ständig nach Gründen dafür suchen zu müssen, noch viel mehr.
Erkenntnis Nr. 3: Widerstand zwecklos.
Sobald ich versuche, jemand anderem die Schuld für
irgendwas zu geben, beginnt mein Leid. Sobald ich mich auf einen inneren Dialog
über die Unzulänglichkeiten meiner Mitmenschen einlasse, bin ich auf verlorenem
Posten. Und das ist, was gerade passiert: Ich merke, welche Gedanken mich
gerade verrückt machen und halte ein.
Ich frage mich derzeit oft, wieviel Chemie in meinem Kopf
Einfluss auf meine Stimmung hat und wieviel der Einfluss meiner Einstellung
ausmacht. Kann am Ende die Einstellung die Chemie beeinflussen?
Höchstwahrscheinlich schon. Wenn ich beobachte, wie mein Bauch entkrampft, wenn
ich tief und bewusst atme oder wie meine Stimmung sich automatisch aufhellt,
wenn ich mich bewege, habe ich die Antwort eigentlich schon bekommen.
Meine Erschöpfung war riesig und ich habe wieder lange
gebraucht, um aus dem Tal rauszukommen. Was mir die Sache aber dieses Mal
erleichtert hat, war, dass ich mich dabei beobachtet habe. Ich habe genau
gemerkt, wie wenig mir das Versacken vor dem Fernseher hilft und wie sehr es
mich langweilt. Ich habe genau gemerkt, dass ich mich selbst mit meinen
Erwartungen unter Druck setze. Da war diese Idee von Ritualen, die mir helfen sollen,
meinen Tag zu strukturieren und mir Sicherheit geben sollen. Aber was nützen
sie, wenn ich sie verbinde mit einer Erwartungshaltung, die Druck ausübt?
Und genau da bewege ich mich auf einem schmalen Grat
zwischen Überwindung und Entspannung. Es ist ein Ping-Pong zwischen beiden, die
ganze Zeit. Ein Ausloten von Grenzen. Wie nützlich ist die Komfortzone und ab
welchem Punkt fängt sie an, mir zu schaden? Und genauso das Grenzen Überwinden:
Wie wichtig und hilfreich ist es, dass ich meinen Arsch hochkriege und einfach
mal mache? Für jemanden, der depressiv ist, ist es entscheidend, um den
Kreislauf zu durchbrechen.
Gestern beim Yoga ist mir ganz deutlich vor Augen getreten,
dass ich jegliche Erwartungshaltung von meinem Trieb, mich zu bewegen,
abkoppeln sollte. Noch immer sagt meine innere Stimme zu mir: „Das reicht noch
nicht, du hast noch nicht genug gearbeitet, du musst noch einen Gang höher
schalten…“ Noch immer lauert in mir drin ein kleiner gemeiner Teil, der von mir
verlangt, dass ich Sport mache. Stattdessen brauche ich jetzt: Bewegung um der
Bewegung willen, weil sie sich gut anfühlt und nicht, weil sie verhindert, dass
ich dick werde. Essen um des Essens willen, weil es köstlich ist und weil ich
Hunger habe und nicht, weil Essen Auswirkungen auf mein äußeres
Erscheinungsbild hat. Und das ist in beide Richtungen gemeint: Essen um des
Essens willen und nicht, um mit gesundem Essen zu mehr Schönheit zu gelangen.
Sondern zu mehr Wohlbefinden. Und dieses Wohlbefinden liegt jenseits von Schönheit,
von Gewicht.
Alle diese Gedanken über Schönheit mache ich mir, so glaube
ich, weil ich wie alle anderen Menschen auf der ständigen Suche nach
Anerkennung bin. Wir alle haben gelernt, dass wir sie gratis bekommen, wenn wir
schön sind und uns nur dann etwas anderes einfallen lassen müssen, wenn die Schönheit
uns verlässt. Wie oft werden kluge Ratschläge erteilt, dass wir uns unabhängig
vom Urteil anderer machen sollen, aber mal ganz ehrlich: Was wären wir ohne die
anderen? Dauernd und immer werde ich aufgefordert, mich lediglich mit Menschen
zu umgeben, die mich bereichern und unterstützen. Und selbstverständlich sind
diese Menschen wichtig. Aber wie gehe ich mit den Energiefressern um, mit den
Nervensägen, den Jammerern, mit diesen allgegenwärtigen Störfaktoren? Ist es
richtig und hilfreich, Menschen in diese Kategorien einzuteilen? Was sagt das
über mich selbst aus? Soll ich mein Umfeld wirklich säubern und alles, was mir
fremd ist oder mich abstößt, weit von mir weisen? Oder lohnt es sich vielleicht
viel mehr, mal genauer hinzusehen und sich zu fragen, was genau mich da
triggert, was mich stört, aufregt, wütend macht? Denn das hat immer viel mehr
mit einem selbst zu tun, als man sich zunächst eingesteht.
Und meine Erkenntnis Nr. 4, die wichtigste von allen, ist: Such die Antworten bei dir und nicht bei den anderen und du wirst von deinem Leid befreit.
Geh dem Schmerz, den das
verursacht, nicht impulsiv aus dem Weg, wie du es immer getan hast, sondern
bleib da und sieh hin.
Was zählt dann das Urteil eines anderen Menschen? Es ist ein
Urteil. Das mag uns verletzen – und es wäre womöglich unmenschlich, wenn es das
nicht täte – aber wir können erkennen, dass Urteile die Sicht auf die Dinge
begrenzen und damit die Möglichkeiten, die der andere hat. Wenn wir wissen, wer
wir sind, können wir mit den Urteilen der anderen besser umgehen. Wenn unser
Selbstbewusstsein nicht auf dem fußt, was wir darstellen, wie wir aussehen,
welchen Job wir haben und wie gut wir ihn machen und wenn wir ganz loslassen
können von unserer eigenen Erwartungshaltung unserem Ego gegenüber, werden wir
frei. Und genau das ist oft für die anderen ganz schwer zu ertragen. Sie verlieren
ihre Macht über uns. Manche sehen sich gezwungen, sich über ihre eigenen Themen
Gedanken zu machen und unbequemen Tatsachen ins Auge zu blicken. Weil wir
selbst für das alte Drama nicht mehr zur Verfügung stehen.
Was mir übrigens auch ganz oft begegnet, ist Mitleid. Wenn
ich öffentlich mache, wie ich mich fühle, welche Zweifel ich habe, wie unsicher
ich bin, stürzt jedes Mal eine Welle aus „Mitgefühl“ und trostspendenden Worten
auf mich ein. Wenn ich ehrlich sein soll – auch wenn ich das ganz rührend und
lieb finde – fühle ich mich dennoch missverstanden. Der Grund, warum ich diese
Gedanken und diese Unsicherheiten teile ist, dass ich meine Erfahrungen weitergeben
möchte, um zum Nachdenken anzuregen und vielleicht Impulse für das eigene Leben
zu erhalten. Ich möchte gerade nicht deprimiert im Selbstmitleid baden und
Applaus dafür erhalten. Ich möchte erforschen, was genau da passiert und ich
möchte es teilen, damit diejenigen von uns, die sich mit meinen Themen
identifizieren können, sich nicht allein fühlen. Manchmal denke ich, ich
schreibe für mein pubertierendes Ich, das sich so oft ganz allein auf dieser
Welt gefühlt hat und vollkommen unverstanden. Wie gut hätte es getan, da von
jemandem zu hören, der ähnliche Gedanken hat und aus diesem Leid heraus seine
persönliche Entwicklung vorantreibt.
Ja, es lesen sicherlich Leute aus meinem Umfeld mit
voyeuristischen Absichten mit, die es vielleicht beruhigt und tröstet, dass
Menschen, die von außen oft stark erscheinen, sich eine Blöße geben, aber das
ist völlig ok. Das ist der Preis und das halte ich aus. Es wird immer Menschen
geben, die mich beurteilen, die sich vergleichen, die vielleicht schadenfroh
sind. Wenn ich mich klein und lächerlich fühle, möchte ich ihnen aus dem Weg
gehen. Wenn ich mich klein und lächerlich fühle, möchte ich meinen
Instagram-Account löschen, weil er mir völlig banal und unbedeutend erscheint.
Weil ich dann alles in Frage stelle und mich in Grund und Boden schäme.
Rückblickend waren es genau die mutigen Momente, die die
Veränderung bewirkt haben. Hätte ich vor fünf Jahren geglaubt, dass ich
wirklich mal öffentlich über meine seelischen Zustände schreibe? Dass ich mal
Yogalehrerin werde? Dass ich meine Ess-Störung besiegen kann? Dass ich
monatelang ungeschminkt durch das Leben laufe und mich dabei völlig frei fühle?
Hätte ich geglaubt, dass ich es akzeptieren kann, dass mich die
Leistungsgesellschaft fertig macht, mir meine Kreativität, meine Kraft, mein
Potential raubt? Und dass es jenseits davon für mich einen Weg gibt, der viel
besser ist, bei dem ich mich nicht messen lassen muss? Bei dem Fülle und
Wohlstand mehr sind als ein gut gefülltes Konto? Und das macht mir Mut, dass
alles, was ich anpacke und das mich in einen Flow versetzt, etwas Gutes werden
kann. Etwas Neues, etwas Schönes, etwas Erlösendes. Etwas von Dauer und
Bedeutung.
Meine Kräfte sind begrenzt und das muss ich akzeptieren. Ich
bin hochschwanger und natürlich ängstigt mich manchmal das, was da noch kommen
wird. Ich muss einstehen für mich selbst und das, was ich brauche. Ich muss
gerade nicht beweisen, wie leistungsfähig ich noch bin. Ich erkenne an, dass
meine Heilung in der Ruhe liegt, im Nichtstun, in der Meditation, im Schlaf.
Darin, dass ich mich nicht mit immer neuen Erwartungen überfrachte, sondern
ganz dem Moment hingebe. Sie liegt darin, dass ich mich löse von meinem Job und
den Ansprüchen, die ich an mich selbst gestellt habe. Sie liegt in meiner Rolle
als Mutter, die mich in letzter Zeit immer mehr erfüllt und die ich jetzt ganz
annehmen kann. Wie viel wichtiger ist es mir, für meine Kinder da zu sein, als
erfolgreich in irgendeinem Beruf. Das Wort Beruf klingt in meinen Ohren gerade
wie ein Fremdwort. Ich möchte jetzt einfach ich selbst sein und keine dieser
Rollen ausfüllen müssen. Und zu meinem Selbst gehört es auch, Mutter zu sein.
Ich bin müde. Und das ist ok. Es bedeutet, dass ich gerade
nicht alles machen kann, was früher immer ging. Vielleicht wird das nie mehr
gehen, weil es früher immer schon zu viel war. Aber ich bin ganz sicher, dass
ich zu meiner Kraft zurückfinde. Für den Moment muss ich sie gut einteilen und
es einfach hinnehmen. Widerstand zwecklos. Das Gedankenkarussell fährt ohne
mich ab – es spielt keine Rolle, was ich früher immer darüber gedacht habe. Es spielt
gerade auch keine Rolle, was da alles noch kommt.
Erkenntnis Nr. 5: Der Prozess hört niemals auf.
Selbst wenn ich mich in der Vergangenheit schon
vollkommen erleuchtet gefühlt habe und genau wusste, was mir hilft, mit mir im
Reinen und glücklich zu sein, bedeutet das für den Augenblick nicht, dass ich
mich nicht hundeelend fühlen kann. Man kann sich auf Erfahrungen nicht
ausruhen. Was ich früher erreicht habe, muss ich nicht zwangsläufig wieder
erreichen und es bleibt keinesfalls bestehen. Das Leben ist im ständigen Fluss
und nimmt immer wieder ungewohnte Wendungen. Alles andere ist Illusion. Wir wissen
nicht, was kommt. Jeder Moment fordert uns heraus, immer wieder neu. Meine
Weisheit von gestern ist keine Garantie für mein Glück morgen.
Das einzige, was
hier wirklich funktioniert ist, immer wieder, beständig, beharrlich, in den
Augenblick zurückzukehren. Aufzuwachen, während man gerade eine Orange schält
und sich dabei ertappt, ungeduldig zu werden, weil man daran denkt, was noch
alles erledigt werden muss. Die Orange schälen, als gäbe es nichts anderes auf
der Welt. Schmerzen wahrnehmen, sich auf sie einlassen, ihnen nicht ausweichen –
und beobachten, was passiert. Das Unerträgliche wird erträglich. Dem Gegenüber
zuhören, dich fokussieren, obwohl du eigentlich gerade selbst etwas sagen
wolltest. Eine schlaflose Nacht nutzen, um ganz bei dir zu sein, Zeit mit dir
selbst zu verbringen.
Erkenntnis Nr. 6: Füttere dein Hirn mit nützlichem Input und es ist weniger Platz für destruktiven Schrott.
Es ist unwahrscheinlich verführerisch, sich bequem in die alten Muster
fallen zu lassen. Und manchmal, in Situationen der Überforderung, ist es sogar
hilfreich, jedenfalls die einzige Möglichkeit. Sich blind und taub stellen,
sich als Opfer fühlen, sich suhlen im Leid. Es muss uns aber bewusst sein, dass
wir dadurch das Leid vergrößern.
Und wenn wir uns ein Herz fassen, ein richtig
gutes Buch lesen, einen inspirierenden Podcast anhören, eine geführte
Meditation machen, anstatt durch den Instagram-Feed zu scrollen, hebt sich
unser Bewusstsein auf eine höhere Ebene und wir kommen in den Flow. Desto mehr
wir uns mit diesen Inhalten beschäftigen, desto tiefer graben sie sich in unser
Bewusstsein ein, formen unsere Gedanken und nehmen Einfluss auf unsere
Stimmung. Wir können steuern, womit wir uns in unseren Gedanken auseinandersetzen.
Und am besten ist es, wenn wir uns gerade so gar nicht danach fühlen.
Bei mir
ist es oft so, dass ich mich so fühle, als wäre ich gerade in einem
minderwertigen Zustand, in dem ich nicht offen genug, nicht wach genug für gute
Inhalte bin. Das macht aber nichts. Denn neben unserem wachen Bewusstsein gibt
es ja auch noch unser Unterbewusstsein. Es ist sogar gut, wenn wir uns kurz vor
dem Einschlafen mit diesen Themen beschäftigen, weil wir sie dann mitnehmen
können in die Welt des Schlafes und sie dort ihre Wirkung nochmal ganz anders
entfalten können. Ich habe schon oft die Erfahrung gemacht, dass ich bei einer
tranceähnlichen geführten Meditation eingeschlafen bin und danach mit einem
ganz erfrischten Gefühl wieder aufgewacht bin. Ich konnte mich zwar an die
Worte nicht erinnern, hatte aber das deutliche Gefühl, dass etwas in mich
eingesunken ist und in meinem Unterbewusstsein weiter wirkt. Jedenfalls hat das
Beschäftigen mit relevanten Themen immer einen direkten Einfluss auf die
Stimmung, das kann jeder sofort ausprobieren.
Heute ist dieser Tag, der das Potential hat, gut oder
schlecht zu werden. Oder vielleicht ist es auch einfach nur ein Tag, der vor
sich hinplätschert und dem es piepegal ist, welche Gedanken ich mir dazu mache.
Ich werde ihn nutzen, so gut ich das kann, ich werde meine Bedürfnisse beobachten
und meine Pläne entsprechend anpassen. Die Liste der To-Do’s kürzen, wenn das
nötig ist. Ich werde so oft ich kann meine Wahrnehmung auf das, was gerade ist,
richten. Mehr muss ich nicht tun.
Du siehst toll aus:-) Ich drück Dich...
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