Yoga Teacher Training – Teil 4: Ich und Anatomie, echt jetzt?
Ich hocke im Bett, mein Yoga-Handbuch auf dem Schoß, das
Handy mit der Übersetzungs-App gezückt, und pauke mir doch wahrhaftig die
englischen Namen aller möglichen Knochen rein. Wer hätte jemals gedacht, dass
ich mich eines Tages hier wiederfinde: freiwillig lernend, mit einer offenen
Neugier, die Angst vor dem Versagen für einen Moment völlig in den Hintergrund
gerückt. Ich bin knapp 38 Jahre alt und das erste Mal im Leben habe ich einen
echten Wissenshunger. Das erste Mal in meinem Leben sitze ich vor einer
komplizierten Aufgabe und beginne einfach, sie zu lösen, anstatt an ihr zu
verzweifeln, weil ich glaube, ich könnte es nicht.
Inzwischen werde ich sehr
aufmerksam, wenn ich mich selber solche Sätze sagen höre wie: „Ich kann nicht
mit Zahlen umgehen“ oder „Ich kann nicht rechnen“, „Ich bin nicht so der
analytische Typ“ oder „Das liegt mir nicht“. Ich erinnere mich an die Zeit kurz
vor dem Abitur, als es darum ging, was man studieren möchte und an meine
Gewissheit, dass ich bestimmte Dinge einfach nicht können würde. Mein großer
Traum war: Psychologie. Aber ich habe denjenigen geglaubt, die mir erzählt
haben, dass ich mit Statistik nicht klarkommen würde, ich habe mich von dem NC
und den Wartesemestern einschüchtern lassen. Ich habe das Feld den anderen
überlassen.
Das Lernen, was jetzt stattfindet, ist anders als damals.
Dazu gehört vor allem auch, dass ich mir zutraue, eine Aufgabe unvoreingenommen
anzugehen, vor den Widerständen nicht zurückzuschrecken, sondern mich ihnen zu
stellen. Ich tue einfach so, als könnte ich es lernen und werde immer sicherer,
dass ich es schaffe. Ich tue so, als wäre ich eine souveräne Yogalehrerin und –
ich bin es! Und dieses Gefühl der Sicherheit, das in mir aufsteigt, gibt mir so
viel Stabilität für alle Bereiche meines Lebens, dass alles, wirklich alles,
dadurch besser wird.
Der vierte Teil unserer Yoga-Ausbildung war für mich genau
diese Lernerfahrung:
Anatomie ist eine Wissenschaft, die uns auf derart
pragmatische Weise helfen kann. Ja, es stimmt, irgendwer hat irgendwann den
Knochen und den Muskeln unglaublich komplizierte und schwer zu merkende Namen
gegeben, aber: Der menschliche Körper ist ein Wunderwerk, unglaublich komplex,
und ihn zu verstehen, auch nur im Ansatz, gelingt nicht von jetzt auf gleich.
Wir können dennoch hingehen und jenseits von jeglichen Hörsälen einfach unsere
eigenen Körper erkunden, die Knochen, die Muskeln ertasten, Bewegungen und ihre
Auswirkungen ausprobieren. Wir können beobachten – auch unsere Widerstände und
unsere Angst. Ich kann die Anatomie betrachten als einen Schlüssel zur
Wahrnehmung meines eigenen Körpers und für die Beobachtung anderer, z.B. in
Bezug auf meine Schüler und ihre ganz individuellen Besonderheiten. Ihre Körperlichen
Beschwerden, ihre Haltung, die Körpersprache kann ich als Spiegel ihrer Seele
erkennen. Menschen, die Rückenprobleme haben, tragen sehr oft eine besondere
Bürde, Menschen, die wie ich dazu neigen, sehr viel nachzugrübeln und zu
versuchen, ihren Stress damit zu kompensieren, haben viel mit Kopfschmerzen zu
tun. Menschen, die ein schwaches Selbstwertgefühl haben, sind oft in sich
eingesunken und lassen die Schultern hängen. Es kommt nicht von ungefähr, dass
sich seelische Themen im Körper manifestieren. Und genau hier können wir ihnen
auch wieder auf eine heilsame Art und Weise begegnen. Unsere Haut als größtes
Organ des Körpers ist ein Rezeptor, der unglaublich empfänglich ist für
Berührung. Diese Berührung kann sehr wirksam und heilend sein, wenngleich es
eine ganz simple, unspektakuläre Sache ist. Und es ist nichts Esoterisches
daran: Durch die Berührung werden Glückshormone ausgeschüttet, so einfach ist
das.
Für mich ist dieser Lernprozess ein kontinuierliches
Erwachen. Ein Gang, immer wieder, über meine Grenzen hinaus. Sei es körperlich
oder in Bezug auf Dinge, die man sich vorher nicht zugetraut hat. Und das
erschließt mir die ganze große Welt, jeden Tag aufs Neue. Eine kindliche
Neugier und Unvoreingenommenheit, das Spielerische, auch in der
Herausforderung, die Leichtigkeit: Alles ändert meine Sicht auf die Dinge. Es
ändert sogar die Dinge, die ich sehe.
Yoga ist nichts anderes als ein Weg zu dir selbst. Und was
du dort vorfindest, ist erstaunlich und wunderschön. Das ist der Grund, warum
ich immer wieder dorthin zurückkomme. Und auch wenn manche Erkenntnisse
Anstrengung und Schmerz auslösen, weißt du doch immer, dass du auf dem
richtigen Weg bist.
An dieser Stelle möchte ich mich bei unserer unglaublichen,
wunderbaren Anatomie-Lehrerin Anne Mcnabb bedanken, die uns diesen
komplizierten Stoff auf die lustigste, unterhaltsamste, beschwingteste und
plastischste Weise nähergebracht hat. Dich zu erleben, Anne, war ein großes
Geschenk und ich werde immer dankbar dafür sein!
Wenn ihr mehr über meine Ausbildung bei Yogalife erfahren wollt, könnt ihr euch übrigens hier umschauen: http://yogalife.org/
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