Anjuly: mehr als meine Yoga-Lehrerin
Liebe Anjuly,
ich nehme all
meinen Mut zusammen, um das hier für dich zu schreiben. Du bist seit mehr als
einem Jahr meine Yoga-Lehrerin und bereicherst seitdem mein Leben auf eine nie
dagewesene Art und Weise. Du bist meine Lehrerin, nicht Teil meines Alltags
oder meines normalen Umfelds und du kennst mich mehr auf eine intuitive Weise
als dass du viel von mir weißt. Umgekehrt ist es ähnlich, auch wenn du in
deinen Stunden oft von dir erzählst, was wundervoll und selten ist. Die meisten
Lehrer haben viel mehr Distanz. Aber gerade das ist es, was dich für mich und
sicher auch für alle deine anderen Schüler so besonders macht.
Meine Reise zu mir
selbst hast du auf eine ganz bedeutsame Art und Weise begleitet und tust es immer
noch. Es hat keine einzige Stunde gegeben, in der ich nichts Neues gelernt
hätte und ich freue mich so sehr auf alles, was da noch kommt!
Ich habe mit Yoga
angefangen, nachdem meine Schwestern mich ins Gebet genommen haben, weil ich es
einfach verlernt hatte, bei mir selbst zu sein, mich entspannen zu können, zur
Ruhe zu kommen. Die Belastung als Mutter von zwei kleinen Kindern hatte mich
daran gewöhnt, nicht auf mich achtzugeben, körperliche Signale zu überhören,
vor negativen Gedanken davonzulaufen und ständig und in jeder Sekunde meines
Lebens ein überbordend schlechtes Gewissen zu haben. Jeder Akt der Selbstliebe
war eine Entscheidung gegen meine Familie. Jeder Versuch, mich zu verwöhnen
oder es mir für mich ganz allein gutgehen zu lassen, ist daran gescheitert,
dass ich es wegen meines schlechten Gewissens nicht genießen konnte.
Es war und ist ein
schmerzhafter und langsamer Prozess, mich davon zu befreien. Mit Yoga habe ich
einen Weg gefunden, die verschiedenen Elemente meines Lebens wieder in Einklang
miteinander zu bringen. Eigentlich wollte ich mich darauf gar nicht einlassen,
weil ich zu einem früheren Zeitpunkt schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Ich
wollte lieber einen effektiven Sport betreiben, irgendwie Stress abbauen,
Kalorien verbrennen (ganz wichtig!). Yogis waren für mich zu esoterisch, zu
gelenkig, zu abgehoben, zu weit weg von meiner Realität. Ich musste erst ganz
langsam lernen, worum es beim Yoga eigentlich geht. Was mich dann daran
begeistert hat, war, dass es keinen Wettbewerbsgedanken gibt. Es gibt kein Gut
oder Schlecht, es geht überhaupt nicht darum, etwas zu "schaffen"
oder ein Ziel zu erreichen. Es geht darum, in Kontakt mit sich selbst zu
kommen. Ich habe meinen Körper auf eine ganz andere Art kennengelernt, mich ausprobiert,
ohne mich zu kritisieren und zuhause ganz alleine auf der Matte geübt, ohne
mich selbst unter Druck zu setzen. Was sich nicht gut angefühlt hat oder was
ich nicht verstanden habe, habe ich gelassen.
Deine Stunden
haben für mich aber noch eine ganz andere Dimension. Es ist das große Ganze,
was mich so beeindruckt: Wie du mit deinen Schülern sprichst, wie du mit den
Skeptikern umgehst, wie frei und offen du über vermeintliche Tabu-Themen
sprechen kannst, ohne dass ich mich peinlich berührt fühle. Und vor allem: Wie
plausibel plötzlich alles, was im Yoga passiert, wie gar nicht mehr esoterisch,
sondern einfach nur logisch es ist.
Ich bin völlig
unvorbereitet in deine erste Stunde gekommen, wollte einfach nur den Kurs am
Mittwochabend mal ausprobieren und hatte keine Ahnung, wer du bist und was mich
erwartet. Als ich dann vor dem Kursraum eine traditionell gekleidete indische
Yogini sah, die gerade mit ein paar Schülern etwas ausprobiert hat, war ich
völlig überrascht und gespannt, was auf mich zukommt. Und ehrlich: Meine
Begeisterung für deinen Unterricht, für deine Person, für deine Weisheit, für
deine Liebe, deine Sicht auf die Dinge, wächst mit jeder Woche.
Du bist diejenige,
die mich das Unperfekt-Sein lehrt, also genau das, was ich lernen und für den
Rest meines Lebens praktizieren möchte. Wenn ich mich erinnere, wie ich früher
ins Fitness-Studio gegangen bin und es mir so unangenehm war, den
durchtrainierten Coaches gegenüber zu stehen, wie minderwertig ich mich gefühlt
habe und wie sehr mich das auch beim Sport machen selbst irritiert hat
("Wer guckt mir zu, wie rot bin ich im Gesicht, wie sieht mein Hintern in
der Hose aus..."), bin ich selbst erstaunt, wie leicht es mir inzwischen
fällt, in deine Kurse zu kommen und dort ganz bei mir selbst zu sein. Ich
interessiere mich auch für die anderen Kursteilnehmer auf eine andere Art und
Weise: Früher habe ich sie beneidet oder bemitleidet, je nachdem. Heute finde
ich es einfach nur interessant, warum sie auch da sind und was sie mitbringen.
Es fällt mir überhaupt nicht mehr ein, sie aufgrund ihrer Körperlichkeit zu
beurteilen. Der liebevollere Umgang mit mir selbst erlaubt es mir, auch die
anderen mit mehr Wohlwollen zu betrachten.
Ich denke, dass es
unmöglich ist, in Worte zu fassen, was dich ausmacht und wer du bist. Das muss
man einfach erleben. Auch wenn du es nicht weißt, hast du doch einen großen und
wunderbaren Einfluss auf mein Leben. Warum soll ich dir also nicht etwas von
dem, was du mir gegeben hast, zurückgeben und dir mitteilen, was du mir bedeutest?
Ich möchte mich
bei dir bedanken, dass du deine Weisheit mit uns teilst, dass du Anteil nimmst
an unseren Sorgen und Nöten und all den Zipperlein, dass du uns Ratschläge
gibst, die weit über Yoga hinausgehen und dass du in deiner großen Aufmerksamkeit
das Wesen deiner Schüler so gut erkennen kannst.
In Vorfreude auf
alle noch kommenden Yoga-Stunden,
deine Lene